der himmel über den friedrichshof- eine auseinandersetzung

Ein schmiedeeisernes Tor hinein und ein anderes Tor hinaus. Zugegebenerweise wunderschön gestaltete Tore, umrankt von viel Grün.

Rundherum eine Mauer, auch diese fast durchgängig  mit viel Efeu und Pflanzen teilweise bedeckt. Trotzdem eine Mauer.

Innerhalb dieser Mauer wie eine Oase, ein Ferienparadies. Mit Biotop, wunderbarer Natur, schön gestalteten Plätzen, Wege, Ateliers, Ausstellungsräume, Häuser und Wohneinheiten, ein Hotel mit Seminarbetrieb.

Ich gehe herum. Mit flauem Magen. Nicht alleine. Meine Freundin und ich flüstern unmittelbar nachdem wir das Areal betreten. Warum eigentlich? Wir treffen nur wenige Menschen. Ein paar Künstler. Einer restauriert oder repariert einen Sessel vor seinem Atelier. Eine Frau sitzt vor ihrem Atelier und liest in einem Buch. Wir grüßen höflich. Ein Mann kommt aus seinem Atelier und ich frage ihn, ob man die Ausstellungsräume besichtigen kann. Er erklärt uns, dass wir die Telefonnummer an der Eingangstüre zu den Räumlichkeiten anrufen müssen, dann komme jemand. Die Frau, die uns durch die Ausstellungsräume führt, kommt, wie angekündigt, 15 Minuten nach unserem Anruf.

Dazwischen  besichtigen wir das Biotop. Verbotenerweise. Es gibt einen Eingang mit abgeschlossener Türe. Durch diese kommt gerade eine Frau und ein Mann, als wir vor der Türe stehen. Als wir einen Weg weiter gehen, kommen wir zu einem Waldstückchen, dort führt ein Pfad seitlich zum Biotop, davor ein Schild „Betreten verboten! Zugang nur für Bewohner oder Hotelgäste“. Wir wagen es trotzdem. Wunderbar mit meterhohem Schilf umwachsen, mit schöner Wiese, teilweise verwinkelten Plätzen. Dazwischen Holzliegen, jeweils in Doppelbettgröße. Beim Eingang eine Sandkiste.

Wir gehen zurück und die Frau erwartet uns bereits in der geöffneten Tür. Wir bezahlen fünf Euro Eintritt. Dann führt sie uns zuerst in die Sonderausstellung, diese wechselt immer wieder. Ich habe vergessen, in welchen Abständen. Wir sehen einen Raum mit Werken von Helmut Lang. Ich wusste nicht, dass der Modeschöpfer auch Kunstwerke gestaltet. Es gibt Kunstwerke an der Wand und Objekte, die im Raum stehen. Alles aus Kunstharz, Lack und Stofffetzen und alles in Weiß. Unsere Ausstellungsbetreuerin lässt uns wissen, dass es auch Werke in Wien gibt, die alle schwarz sind. Die Wandpaneele sind durchwegs interessant in ihrer Reduktion und Abstraktheit. Die Ausstellungsfrau erzählt in lockerem Ton, dass die Leute unterschiedliche Phantasien zu den Objekten hätten. Die kleineren fragilen erinnerten manche an Hungermodels. Das erscheint mit irgendwie nachvollziehbar. Die großen Objekte würden manche an Stonehenge erinnern. Phallisch kommt in ihrer Beschreibung nicht vor, aber vielleicht hat es auch noch nie jemand laut ausgesprochen. Ich sage es auch nicht. Später finde ich es jedoch im Ausstellungstext sogar im zweiten Absatz einer A4-Seite über Helmut Lang und seine Ausstellung. Im gleichen Infoblatt erfahre ich auch, dass er bereits  seit den 90iger Jahren künstlerisch tätig ist und Ausstellungen hat und seit 2005 nur noch als Künstler arbeitet und nicht mehr als Designer. Ich bin wohl nicht up-to-date.

Weiter geht es zu den beiden anderen Ausstellungsräumen der Wiener Aktionisten. Im ersten Raum Otto Mühl und Günter Brus. Augenscheinlich beschäftigt mich eine Bleistiftzeichnung mit halbem Torso, der zwei Penisse hat. Eine andere daneben, eine Figur sitzt auf einen Priester oder Bischof. Texte, mit Schreibmaschine getippt. Ich lese nur Satzfetzen … Träume … sexualisierte Szenen … Genauer mag ich es nicht lesen. Ein Bild vom Papst. Kleinere Bilder. Eines mit einem Kreuz, darauf Jesus, wie ein Hampelmann mit Titel „Hampelchrist“.

Im zweiten Raum Herman Nitsch, Rudolf Schwarzkogler, Brus und Mühl. Schüttbilder von Nitsch, schon ausreichend bekannt.  Eine Installation mit zwei Gewändern von Priestern auf einer riesigen Jutefläche. Eine ganze Wand mit schwarz/weiß Fotografien von einbandagierten Köpfen, Körpern, die sich auf der Erde verkrampft winden,…

Ich möchte mir den Videoraum von Nitsch gar nicht ansehen, weil ich denke, „eh das, was man schon kennt und gesehen hat“. Unsere Begleiterin meint, „das sollten sie sich anschauen, die meisten sind überrascht.“. Also gehen wir hinein. Und tatsächlich ist die Installation an und für sich überraschend. Vier große Videowalls, die mit Mustern und Farben animiert sind. Dahinter laufen teilweise bekannte Nitsch-Szenen. Nach einigen Minuten gehen wir raus, weil es einfach zu viele Eindrücke gleichzeitig sind.

Ein kurzes Video von Schwarzkogler. Etwas über eine Minute. Vermutlich er, geht weiß bekleidet mit schwarz gemalten „Strich“ vom Scheitel hinunter, was nach einer zweigeteilten Person aussieht, mit anderen (gekleidet mit Uniform und Kappe) herum, vermutlich durch Wien.

Dann das Mühl-Video. Es würde sieben Minuten dauern. Nach zwei Minuten verlassen wir etwas angeekelt den Raum. Unsere Ausstellungsfrau meint: „Das  ist für viele immer noch harte Kost.“ Es ist für mich nicht klar, ob diese Aussage auch ihrer Wahrnehmung entspricht, oder ob sie uns nur mitteilen möchte, dass sie verstanden hat, dass es uns zu heftig war, weil wir es nicht bis zum Ende angeschaut haben. Ich sage im Vorbeigehen: „Ich muss mir nicht alles anschauen, ich schau mir einfach nicht mehr alles an.“  Sie erwidert nichts.

Zum Abschluss sehen wir noch das einminütige Video von Brus an, dass so unspektakulär ist, dass ich es nur eine Stunde danach nicht mehr im Kopf habe, weil es von dem Mühl-Video überlagert ist: „Ein Finger bohrt sich durch einen Stoff/eine Frucht, keine Ahnung. Dieser wird zuerst angemalt, mit etwas das wie Nagellack aussieht. Allerdings wird die gesamte Fingerkuppe angemalt. Man kann vermuten, dass die Farbe rot war. Der Film ist jedoch nur schwarz/weiß. Danach leert jemand Zähflüssiges über den Finger (Honig?), anschließend noch etwas weißes (Joghurt, Schlagobers?). Lippen nähern sich dem Finger.  Der Mund bewegt sich auf und ab, mit dem Finger darin …“ Mehr will ich/wollen wir nicht sehen.

Es geht mir nicht um Moralisches oder ein Tabu bei den Bildern und den Filmen. Jedem steht es frei, was davon er/sie anschauen will und was nicht. Mich beschäftigt einerseits, dass es Otto Mühl nicht gelungen ist, seine „Persönlichkeitsstörung“ vollständig  in der Kunst auszuleben. Andererseits  wer daran interessiert ist, ihm immer noch ein Denkmal zu setzen und welche Künstler weiterhin mit seinem Namen verbunden bleiben möchten. Und nicht deutlich deklariert wird, welche Verbrechen Otto Mühl begangen hat. Der Wikipedia-Eintrag:  „1991 wurde Otto Muehl in Österreich wegen Kindesmissbrauchs und Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt.“, wirkt auf mich mickrig und verharmlosend. Auch auf der Friedrichshofhomepage ist es fast nicht möglich, Fakten zu erfahren. Die Betonung liegt auf „Ort mit weitem Horizont“, „Entfaltungsort für Freigeister“.  Unter „Werte und Geschichte“ wird ein „Ideologiefreier Wohnort“ betont und wiederholt was auf anderen Seiten schon zu lesen ist. Unter „siehe Geschichte“ befinden sich einige Jahreszahlen und die Bemerkung „Die Kommune begründete ein alternatives Gesellschafts- und Lebensmodell“ und einige Zeilen weiter „Nach einer Phase der Umorientierung wurde der Friedrichshof zu einem beliebten Wohn-, Arbeits- und Seminarort“. Das Weiterklicken auf „Kommune“ bringt eine lange Abhandlung über die Schwierigkeiten, wie die Kommune sich organisieren konnte, vor allem auch die finanziellen Schwierigkeiten. Auf der vierten von fünf Seiten finde ich dann den Satz, der in Wikipedia zitiert ist und weiter „…dass Muehl in den späteren Kommunejahren zunehmend ein Doppelleben geführt hatte. Neben dem öffentlichen, verantwortungsvollen Kommunevorstand und charmanten Gastgeber für prominente Besucher aus der Kunstszene kamen privater Drogenmissbrauch und schwerwiegende sexuelle Übergriffe zum Vorschein.“ Zwei Absätze weiter findet sich das Bekenntnis „…untersuchen, wie eine anarchistisch-libertäre Gruppe im Lauf von zwanzig Jahren in ein autoritäres System kippen konnte.“ Das Ende des Artikels von Peter Schär (2015, Quelle: http://www.friedrichshof.at/z/File/Kurze-Geschichte-der-Kommune-Friedrichshof-Fassung-2015.pdf ) betont wiederum die tollen Vorzüge des Friedrichshofs fünfundzwanzig Jahre später. Eine deutliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Friedrichshofs ist wohl bisher noch nicht passiert und wäre dringend notwendig. Damit ähnliche Verbrechen unter allen möglichen Deckmänteln in Zukunft weniger Chancen haben müssen Menschen darüber nachdenken und auch wissen, wie sie sich davor schützen können.

Der Plan war beim Betreten des Areals, alles anzuschauen und zum Abschluss das Mittagessen zu genießen. Querfeldein suchen wir einen Weg zum Hotel zurück. Dabei treffen wir auf eine weitere Frau und einen Mann.

Dort angekommen, sind die ersten beiden Räume übervoll und es gibt keinen Platz mehr. Sofort beim Eintreten wird klar, hier ist alles etwas Nobler. Im hinteren Raum, sitzen wir anfangs mit einem Pärchen am Nebentisch alleine. Später kommt ein zweites Paar dazu.

Wir bekommen die Speisekarte. Die ersten drei Seiten sind 4- und 5-Gänge Menüs zwischen 59 und 65 Euro. Die letzte Seite bietet, 2-3 Vorspeisen, drei Suppen und fünf Fleischspeisen, die alle etwas „exotisch“ klingen. Offensichtlich sollte mach sich auskennen, was „weiße Nierndln“  sind oder eine „Fledermaus“, nachdem ich davon ausgehe, dass hier im Burgenland nicht tatsächlich Fledermäuse am Menüplan stehen. Ich fühle mich etwas fehl am Platz.

Ich frage, ob ich vom vegetarischen Menü auch eine einzelne Speise bestellen kann, was bejaht wird. Ich frage nach einer mir völlig unbekannten „Speise“ in der Abfolge und erfahre, dass dies ein Getränk ist. Als ich weiterfrage, was von den angeführten Speisen warm ist, wird es komplizierter. Der gefüllte Spitzpaprika sei wohl doch warm, zumindest ein wenig, sie werde mal fragen, ist die Auskunft von der Kellnerin mit ungarischen Akzent. Sie kommt zurück, um zu bekräftigen, dass es eine Warmspeise ist. Meine Freundin bestellt eine Suppe. Ich den Spitzpaprika. Die Kellnerin entfernt sich mit einem überlauten Seufzer. Schon während des Wartens beschließen wir danach abzureisen und woanders weiter zu speisen. Der dünne, spitze, rote Paprika wirkt auf dem normalgroßen Teller, der aus grauem dicken Keramik besteht, etwas verloren und da der Teller nicht vorgewärmt war, hatte der Paprika auch wirklich keine Chance, sehr warm zu bleiben. Lauwarm ist die beste Beschreibung und die erste Auskunft der Kellnerin die Wahre.  Sowohl die Suppe meiner Freundin, als auch mein Spitzpaprika gefüllt mit Cous-cous auf Melanzanimus schmecken ausgezeichnet. Allerdings verstehe ich danach den Wunsch nach einem 4-5-gängigen Menü.  Die Einzelbestellung  hatte offensichtlich keinen Einfluss auf die Größe der Portion. Auf den Preis, kam mir vor, aber doch.

 

Die Frau, die später mit ihrem Mann an den Nebentisch kommt, merkt an, dass es ab morgen (also ab Montag), wohl wieder kleinere Speisen geben werde, so wie im letzten Jahr. Sie bestellt dann beim Kellner Nudeln mit Tomatensoße. Diese könnten länger dauern, merkt der Kellner an. „Ich brauche Kohlehydrate, ich muss ja noch durchhalten“, sagt sie. Offenbar Seminargäste, die gerade Mittagspause haben.

Wir finden in der Speisekarte ein Infoblatt des Hotels über den Friedrichshof, wo wir erfahren, dass bereits 1890  Erzherzog Friedrich auf dem Areal einen Gutshof errichten ließ, worauf wohl der Name zurückführen dürfte. Und die spätere Kommune aus renovierten Gebäuden von damals und weiteren neu erbauten von 1972-1992 bestand. Und wir hier im Speisesaal in einem Teil des früheren Versorgungshauses sitzen.

Beim Nachfolgenden Verlassen des Grundstückes, beschäftigt uns noch der Turm, der Teil des Versorgungshauses war und heute Teil des Hotels ist, mit dem man wohl einen guten Überblick über das gesamte Areal hat. Bei den nachfolgenden Recherchen erfahre ich im Internet, dass in dem Turm die Zimmer für die „Obersten“ waren, also die Menschen, die Otto Mühl am nächsten standen, oder von ihm ausgewählt wurden.

Außerhalb des Areals befindet sich der Gästeparkplatz. Danach und rundherum befindet sich, soweit das Auge reicht Ebene mit Feldern und eine ganze Menge an Windrädern.  Die völlige Abgeschiedenheit  ist ein nicht zu übersehendes Merkmal des Friedrichshofes.

Das Wissen, welches ich nicht abschütteln will und kann, bringt, in das vermeintlich Paradiesische, etwas Gruseliges und lässt mich so lange nicht los, bis ich das Areal wieder verlasse. Und es wirkt weiter nach. Das Gefühl, dass sich seit Jahren eingestellt hat, immer wenn ich mit der Frage konfrontiert war, ob ich ein Seminar am Friedrichshof besuchen möchte, ist nicht mehr nur etwas aus der Ferne, an dem ich zwischenzeitlich auch schon zu zweifeln begonnen hatte. Jetzt habe ich für mich die absolute Bestätigung, dass es mir nicht möglich ist, dort ein Seminar frei zu genießen. Mein Wissen um die Geschichte und, nach meinen heutigen Recherchen, auch die Unklarheiten, die es offiziell immer noch gibt, sowohl zu dem, was dort genau passiert ist, aber auch zu den jetzigen Verwaltungsangelegenheiten, bewegen mich dazu, den Himmel lieber außerhalb der Friedrichshofmauern zu genießen.  (14.8.2017)

Quellen:

·        http://www.friedrichshof.at/z/File/Kurze-Geschichte-der-Kommune-Friedrichshof-Fassung-2015.pdf

·        http://www.friedrichshof.at/

·        http://sammlungfriedrichshof.at/

·         http://www.familierockt.com/otto-muhl/

·        https://www.vice.com/de_at/article/zn8jjy/otto-muehl-kommune-friedrichshof-interview-hatschepsut

·        http://diepresse.com/home/leben/mensch/4635490/Claudia-Muehl_Wir-haben-die-staerksten-Tabus-verletzt