fremde heimat

„San di deppat?“ Der Fuchs hört den Klang der Stimme. Die Worte kann er nicht verstehen. Er spürt allerdings die Aufregung.

Er war erst vor kurzem in diesem Waldstück gelandet. Dort, wo er früher gelebt hatte, gab es zu viele Wölfe. Sehr ungemütlich und gefährlich. Hier ist es friedlich. Allerdings ist es wirklich schwierig, wenn man die anderen nicht verstehen kann. Zum Glück hatte er letztens einen Fuchs getroffen, der der Sprache schon mächtig ist und sich hier auch bestens auskennt.

Ihn braucht er jetzt. Er läuft das Stück bis zu dessen Bau. Er ruft durch das Ausgangsloch: „Kannst du schnell mitkommen? Da vorne an der Tanne steht ein Reh. Ich verstehe ja nichts, aber es scheint wichtig zu sein!“ Gemeinsam beeilen sie sich.

Schon von weitem hören sie das Reh: „Di san wohl deppat. Mein besten Bam umsageln. Des ist bled.“ „Reg di net so auf“, erwiderte ein Hirsch, der daneben steht.

Der Fuchs übersetzt für seinen Freund: „Die sind wohl dumm. Meinen besten Baum umsägen. Das ist blöd. Und der Hirsch sagt, ärgere dich nicht so.“

„Aha, aber warum sägen die denn den Baum überhaupt um?“, will der Fuchs wissen.

Er verstummt schnell wieder, um nicht zu versäumen, was das Reh noch zu sagen hat: „Nur weg´n Weihnochten. Ka Gfüh ham di. Weg´n de poar Tog, so a schener Bam!“ Sein Freund übersetzt: „Nur wegen Weihnachten. Kein Gefühl haben die. Wegen der paar Tage. So ein schöner Baum.“

Nun wird der Fuchs aber wirklich neugierig: „Weihnachten? Was bedeutet das?“

„Weihnachten, wie soll ich dir das erklären? Die Menschen feiern es nur einmal im Jahr, soweit ich das bisher verstanden habe. Alle sind dann ganz aufgeregt. Vor allem die Kinder. Sie holen einen Baum aus dem Wald. Auf den hängen sie dann Süßigkeiten und alles Mögliche Glitzerzeugs. Und unter dem Baum stehen Schachteln. Dort sind  Geschenke für die Menschen darin. Nach ein paar Wochen werfen sie den Baum aus dem Haus. Deswegen ärgert sich das Reh so. Der Baum ist nämlich dann kaputt und uns fehlt ein Versteck.“

 

Er erntet dafür einen bewundernden Blick. „Woher weißt du denn das alles?“

Er erklärt dem Neuzugezogenen, dass ihm die anderen Tiere davon erzählt hatten. Dann wollte er es mit eigenen Augen sehen und hatte sich eines Tages an ein Haus angeschlichen und durch das Fenster geschaut.

Mit schreckgeweiteten Augen blickt ihn sein Freund an. Er kann ihn aber beruhigen, als er ihm erklärt, dass die Menschen an diesem besonderen Tag für nichts anderes Augen haben.

Ob die Leute in der alten Heimat auch so ein Weihnachtsfest gefeiert haben, will sein Freund wissen, der früher in einer sehr verlassenen Gegend gewohnt hatte. Er war sich auch nicht ganz sicher, wollte aber keinesfalls unwissend wirken. Deswegen sagte er mit fester Stimme, dass dies wohl einige gemacht hätten, aber nicht alle.

Sein Freund schüttelte anerkennend den Kopf: „Ich verstehe so Vieles nicht in diesem neuen Land. Ich muss hier noch einiges lernen. Aber ich bin sehr froh, dass ich dich als Freund gefunden habe.“

 

(Erschienen im Online Adventkalender von 1001 Buch)