ich ernte öfter erstaunte blicke

„Wenn ich brav bin, dann …“, erzählen mir Kinder.

Oder: „Ich war schlimm, deswegen …“

„Was meinst du damit?“ meine Frage.

Erstaunter Blick.

 

„Er/sie war gestern wieder so schlimm.“

„Wenn er/sie brav ist, dann …“, höre ich von Eltern.

„Was meinen sie damit, können sie mir das genauer erklären?“

Erstaunter Blick.

 

Wie geht es ihnen?

Nicht schlecht.

Was meinen sie damit?

Erstaunter Blick. Grübeln.

 

Eigentlich ganz gut.

Was ist das für ein Gefühl?

 

Grübel, grübel und studier …(nach einem Liedtext der EAV)

 

Warum geben sich Menschen so oft zufrieden mit diesen Worten?

Warum tun sie so, als würden sie wissen, was gemeint ist mit „brav“, „schlimm“, „gut“, „schlecht“?

Es zu akzeptieren ist fatal!

Warum?

Weil es bedeutet, dass wir es mit unserer Vorstellung füllen.

Was wir als brav, schlimm, gut, schlecht, definiert bekommen haben oder selbst definieren.

 

Wenn ich aber 10 Menschen zu diesen Worten befrage, werde ich 10 unterschiedliche Antworten bekommen.

Jeder hat dafür eine eigene Definition.

 

Da diese Worte hauptsächlich in der Kommunikation zum Einsatz kommen, ist die Gefahr der Missverständnisse sehr hoch.

 

„Ich möchte, dass du jetzt brav bist.“

Was soll das Kind erfüllen?

Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es nicht das Erwartete oder es nicht ausreichend tut.

 

Wenn wir als Eltern, Großeltern, Tanten, Onkeln,… verstanden werden wollen, ist es bedeutsam, klar zu sagen, was wir meinen.

Vielleicht: „Ich möchte, dass du jetzt hier ruhig sitzen bleibst“ oder „Ich muss jetzt telefonieren und ich möchte, dass du wartest, bis ich fertig bin, dann kannst du mir was erzählen.“

 

Wenn wir ernsthaft fragen, wie es jemanden geht, dann dürfen wir auch nachfragen.

Viele Menschen haben nie gelernt, ihre Gefühle präzise auszudrücken.

 

Es kann schon mal lästig sein, wenn ich dann in der Arbeit drauf poche, dass wir sie finden.

Manchmal stelle die ich dann meine 54 Gefühlekarten zur Verfügung, um das momentane Gefühl zu finden.

Oder ein Gefühl, das zu der erzählten Situation passt.

Selbst das kann schwierig sein.

Wenn Menschen ihre Gefühle nicht mehr wahrnehmen.

Es kommen dann viele Beschreibungen.

Z.B. „es ist, wie hinter einer Mauer“, oder „es ist so ein Durcheinander in meinem Kopf“

Da gilt es genau hinzuhören.

 

Ein Gefühl ist es dann, wenn wir sagen können, „ich bin…“ oder „ich fühle mich…“.

 

Hier sehe ich mich als Seelenforscherin.

 

Ich ermuntere Menschen, sich exakter auszudrücken.

„Ich war schlimm“, kann auch einfacher zu erzählen sein, als „ich habe meinen Bruder gebissen“.

Ich kann nur helfen, wenn ich mich auskenne.

Und aus, „ich war schlimm“ wird dann möglicherweise, „ich war so wütend, weil die Mama meinen Bruder viel lieber hat, dann hab ich ihn gebissen“.

Damit können wir arbeiten.

 

Ich grabe mit den Menschen nach ihren Gefühlen, damit sie wieder Zugang zu ihrem Fühlen haben.

„Nicht besonders gut“ ist vielleicht einfacher, als „ich fühle mich erschöpft und bin wütend auf meine Arbeitskollegin“.

Und daraus kann werden: „Ich bin so traurig, dass ich schon mein ganzes Leben das Gefühl habe, nicht gehört zu werden. Und es macht mich müde, ständig noch mehr Leistung bringen zu müssen, damit ich beachtet werde.“

Damit können wir arbeiten.

 

Ich darf mich nicht zufrieden geben, solange ich den Menschen nicht verstanden habe.

Ich darf den Menschen nicht in Frieden lassen, solange er bereit ist, weiter zu graben.

Die Bestätigung, dass der Mensch weiter graben möchte und mehr seiner inneren Landschaft erforschen, kennenlernen und verstehen möchte, die brauche ich dafür.

 

Ich grabe nicht für ihn, während er sich gemütlich hinsetzt und zuschaut oder mir sagt, dass es so nicht richtig ist oder dass er das gar nicht möchte, was da zu finden ist.

 

Ich grabe mit Begeisterung und höchster Konzentration, wenn wir uns einig sind, dass der Mensch meine Begleitung bei der Expetition möchte.

 

Und dann werden die erstaunten Blicke immer seltener.

 

(15.2.2021)