reden - zuhören - ernst nehmen

Gedanken eines Sechsjährigen: „Was passiert, wenn ich vor dem C-Test weine?“

Ich: „Warum?“

Er: „Na die Tränen waschen ja die Bakterien heraus. Wäscht sich dann auch C. heraus?“

 

Kinder und Jugendliche beschäftigt die Situation.

Auf vielfältige Weise beschäftigt sie C.

 

Wenn ich nachfrage in der Praxis, bekomme ich oft als Antwort: „Ach, C. stört mich nicht, ist mir egal.“

Warum ist das so?

Kinder und Jugendliche haben feine Antennen.

Sie spüren, ob und wann es den Erwachsenen zuviel ist oder diese nicht darüber reden möchten.

 

Es liegt eine große Verführung darin, wenn jemand sagt, „das ist mir egal“, so zu tun, als würde ich es glauben.

Damit bin ich auch aus dem Schneider.

Muss mich nicht weiter damit auseinandersetzen.

Da ich aber davon überzeugt bin, dass C. und die damit verbundene Situation niemanden „egal“ ist, sage ich das auch klar und frage weiter.

Außerdem bin ich auch davon überzeugt, dass manche Kinder „testen“, ob der Erwachsenen wirklich interessiert ist und nicht einfach mal so fragt.

 

Eine andere Situation.

Kinder und Jugendliche sagen häufig auf meine Frage: „Warum bist du denn mit deinen Eltern heute hierhergekommen?“

„Weiß ich nicht.“

Wieder eine Verführung, nicht weiter zu fragen.
„Weiß ich nicht“ wir auch oft verwendet, wenn jemand über etwas nicht sprechen möchte.
Oftmals kommen sie im Leben damit durch.

Die meisten Menschen möchten ja nicht lästig sein.

Geben sich damit also zufrieden.

Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Kinder ihre eigenen Sichtweisen haben und es ist mir wichtig, dass sie diese auch ausdrücken können.

Daher rede ich auch am Beginn eines Ersttermins immer zuerst mit dem Kind.

Egal, ob es vier oder vierzehn ist.

 

Meine Antwort auf „weiß ich nicht“ ist so oder ähnlich: „Kannst du mal für dich überlegen, ob du es tatsächlich nicht weißt, oder ob wir uns noch zuwenig kennen, und du es mir jetzt noch nicht erzählen magst? Das wäre nämlich völlig ok. Es ist gut, wenn du unterscheidest und nicht jedem Menschen, den du erst 15 Minuten kennst, alles von dir erzählen magst. Wenn du also sagst „ich möchte es nicht erzählen“, dann kenne ich mich aus und es ist total in Ordnung.

Wenn du sagst, ich weiß es nicht, bin ich unsicher, ob deine Eltern nicht mit dir geredet haben, dann muss ich mit denen ein ernstes Wort reden (lachend und mit erhobenen Zeigefinger zu den Eltern) oder ob du jemand bist, der Sachen ganz schnell wieder vergisst, was ich aber für dich nicht hoffe, weil das wäre schlimm in der Schule, wenn die Lehrerin dir was lernt und am nächsten Tag hast du alles wieder vergessen.“

Beinahe immer, erzählt mir dann das Kind, warum es, aus seiner Sicht, da ist oder es sagt eben „ich will es nicht erzählen“.

 

Wenn wir in einer belastenden Situation leben und nicht darüber reden können, dann fühlen wir uns zunehmend unwohler und entwickeln Symptome.

 

Die Eltern kommen mit ihren Kindern wegen Symptomen.

Fast immer.

Und ich schreibe hier über die Jetzt-Zeit.[m1] 

 

Symptome, wie Ängste, deprimiert sein, den Sinn des Lebens hinterfragen.

Ein recht klarer Ausdruck der Seele.

Hier kann ich dem Kind/Jugendlichen zustimmen und ihm sagen, dass ich verstehen kann, dass sie/er Angst hat, deprimiert ist und den Lebenssinn hinterfragt.

 

Symptome, wie Zwänge, Konzentrationsstörungen oder Lernverweigerung.

Hier geht die Seele schon ein paar mehr Umwege und es geht um die Suche nach dem Dahinterliegenden.

Konzentrationsstörungen treten auf, wenn ich mit Vielem beschäftigt bin und diese Gedanken mich immer wieder „stören“.

Lernverweigerung ist ein Versuch, um z.B. klar zu stellen, dass diese Situation derzeit eine Zumutung ist.

Zwänge sind der Versuch der Psyche, Ängste unter Kontrolle zu bekommen. Zwänge können ganz unterschiedlich ausschauen (Lichtschalter aus- und einschalten, meist eine gewisse Anzahl ist dabei wichtig, im Kasten/unter dem Bett/aus dem Fenster schauen, ob jemand/etwas da ist, Schritte oder sonstiges am Weg zählen, besonders häufiges Hände waschen, etwas Bestimmtes immer wieder fragen oder sagen müssen usw.), die Psyche ist da sehr erfinderisch und variantenreich.

 

Symptome, wie Bauchweh, Übelkeit, Kopfweh (ohne vorwiegend körperliche Ursachen).

Hier verbündet sich die Seele mit dem Körper.

Zu Zweit hat man mehr Gewicht.

Auch hier.

 

Wichtig: Jedes Symptom ist der Versuch der Psyche/Seele eine Lösung zu finden und hilfreich zu sein.

Das gilt es anzuerkennen.

 

Um möglichst keine Symptome zu entwickeln, bzw. nur leichte und vorübergehende, ist es erforderlich, dass Kinder/Jugendliche ihre Gefühle und Gedanken ausdrücken können.

Alle.
Auch die Unangenehmen.

Mit reden, beim Malen/Zeichnen, beim Spiel.

Und dass sie jemand versteht.

Das erfordert beim Gegenüber Kapazitäten zum Zuhören, Reden, bzw. ihren Ausdruck zu beachten.

 

Reden können.

Gehört werden.

Sich ausdrücken können.

Ernst genommen werden.

Die Hauptsäulen, um das Leben gut bewältigen zu können.

 

So, wie der Körper manchmal eine spezielle Unterstützung/Behandlung braucht.

Genauso ist es mit der Seele/Psyche.

Und auch hier gilt, umso länger die Symptome bestehen und umso stärker sie sind, desto länger und intensiver ist Unterstützung notwendig.

 

Viel zuhören.
Zusammenhänge finden.

Den Kindern/Jugendlichen und Eltern übersetzen.

Das ist meine Arbeit.

 

Ich bin Seelenübersetzerin.

Und wie das so ist bei den Übersetzern.

Manchmal ist es einfach, weil die Sprache der Seele sehr klar und verständlich ist.

Und ein anderes Mal braucht es viel Zeit, um eine passende Übersetzung zu finden.

 

Reden.

Zuhören.

Ernst nehmen.

 

(10.2.2021)