sei gegenwärtig

Es gibt immer zwei Seiten.

Es ist günstig, wenn wir uns dessen bewusst sind

und beide Seiten kennen.

 

Jemand der sagt: „ich muss mich um meinen erwachsenen Sohn kümmern“, und zwar so, dass er täglich zum Essen kommen kann, hat vielleicht als zweite Seite, die ihm noch nicht klar ist „ich halte sonst die Sorge nicht aus“ oder „sonst fühle ich mich nutzlos“.

 

Eltern die meinen, sie müssen täglich die Schultasche und die Hausübungen ihres 13jährigen kontrollieren, haben vielleicht noch nicht verstanden, dass sie sich verantwortlich fühlen für die Leistungen des Kindes oder sie vertrauen der Lehrerin nicht, dass sie es sich mit dem Jugendlichen ausmachen wird.

 

Das Ergebnis, so ganz nebenbei: Keiner kann lernen, für sich selbst verantwortlich zu leben, wenn es ihm abgenommen wird.

Und (Über)fürsorge ab einem gewissen Alter und in bestimmten Situationen verführen Kinder und Menschen ganz allgemein dazu, dass sie aufhören selbst zu denken. Sie verlassen sich irgendwann darauf, dass die anderen ihnen schon sagen werden, was sie wollen oder wenn etwas nicht passt.

 

In meinem Job als Psychotherapeutin geht es ganz oft darum, diese andere Seite zu suchen und zu finden, damit Menschen besser verstehen, warum sie sich in Situationen befinden, die sie oft an die Grenzen ihrer Anstrengungen bringen.

 

Unsere Seele macht prinzipiell nichts, was uns schadet – aber manchmal ist der Sinn dahinter sehr tief vergraben.

 

Die zweite Seite finden, die andere Seite der Medaille.

Das ist etwas, was mich schon lange begleitet.

Das passiert oft schon nebenher.

Und nicht nur in meiner Praxis.

 

So verwendet ich das auch häufig für meine Texte.

Ja, ich weiß, dass sie Regierung, wenn sie sagt „aus psychologischen Gründen“ werde die Maskenpflicht wieder aufgenommen, meint (oder es zumindest so darstellt), dass sich die Menschen wieder bewusster sein sollen, dass Corona noch nicht vorbei ist.

 

Es gibt allerdings die zweite Seite.

Die ist, dass viele Menschen wieder mehr Angst bekommen und zusätzlich verwirrt sind, ob der eingeschränkten Orte, wo die Maskenpflicht gilt.

 

Übrigens so ein kleiner Tipp, wann wir sofort auf die Suche nach der zweiten Seite gehen können.

Nämlich dann, wenn etwas unlogisch ist.

Wie eben diese Regelung.

Also die zweite Seite davon ist die Wirtschaftliche – aber das haben ja viele schon verstanden!

 

Wie ist das nun mit der Angst?

Mit Angst sind wir weniger fähig etwas zu lernen.

Mit Angst sind wir wesentlich angespannter.

 

Rücksicht nehmen, rücksichtsvoll miteinander umgehen wird damit also massiv erschwert.

 

Eigenverantwortung übernehmen lernen, sich verantwortlich für andere fühlen wird damit auch erschwert.

 

Wenn wir ständig Vorgaben bekommen, hat es eher den Effekt, dass wir uns drauf verlassen, dass uns schon jemand sagen wird, wann wir aufpassen müssen. Zusätzlich gibt es die Autoritätshörigkeit vieler Menschen, die halt brav sein wollen, wenn es angeordnet wird. Auch wenn sie es selbst absolut nicht nachvollziehen können oder verstehen.

 

Wenn wir uns Eigenverantwortung, verantwortliches Umgehen und Rücksichtnahme wünschen und ich bin auch überzeugt davon, dass wir langfristig als Menschen ohne diese Eigenschaften nicht überleben können, dann muss auch dort angesetzt werden.

 

Sei rücksichtsvoll!

Sei verantwortlich!

 

Wie soll das gehen?

 

Ich kann auch niemanden sage „liebe!“ oder „sei glücklich!“

 

Auch mit Separation ist es übrigens nicht möglich, Menschen Rücksicht auf andere zu vermitteln.

 

Ja, mir ist bewusst, dass es eine schwierige Situation ist, in der wir gerade leben, aber ich bin davon überzeugt, dass gerade wir uns in Österreich es leisten könnten, dort anzusetzen, wo es tatsächlich Sinn macht.

Oder was ist davon die zweite Seite?

 

(23.7.2020)